Eine schöne Geschichte des Zusammenlebens
Seit 2019 spendet New Roots 1% seiner Einnahmen an Organisationen wie Co&xister
Zusammen leben
Virginia empfängt uns inmitten von Hühnern, Schweinen, Schafen, Kühen und vielen anderen Tierarten, die alle harmonisch zusammenleben. Sie haben auf dem Co&xister Lebenshof ein neues Zuhause gefunden. Die Organisation im Kanton Waadt nimmt seit 2019 Tiere auf, die aus Schlachthäusern gerettet wurden.
Der Veganismus ist die logische Konsequenz einer antispeziesistischen Lebensphilosophie.
Wie viele Tiere leben im Moment bei dir und um welche Tierarten handelt es sich dabei?
Virginia: Derzeit leben 46 Tiere auf unserem Gnadenhof. Im Durschnitt beherbergen wir etwa 50 Tiere. Darunter sind Kühe, Schafe, Ziegen, Pferde, Schweine, Hühner, Kaninchen, Hunde und Katzen. Für die Tiere, welche wir nicht aufnehmen können, suchen wir Adoptivfamilien.
Kannst du uns von deinem Einsatz für die Rechte von Tieren und Menschen erzählen?
Ich war schon immer sehr sensibel was das Schicksal von Tieren angeht und habe sie seit meiner Kindheit stets verteidigt, wenn ich in einer entsprechenden Situation war. Aber erst im Alter von 24 Jahren, als ich auf einem Biohof ein Kalb sah und verstand, dass es in ein Schlachthaus kommen wird, damit der Mensch die Milch seiner Mutter konsumieren kann, habe ich die ganze Problematik des Speziesismus und der fleischlichen Ernährung erkannt. In diesem Moment beschloss ich, deren Stimme zu sein und dieser so laut wie möglich Gehör zu verschaffen, indem ich die Schweizer Milchindustrie untersuchte und ein Buch zu diesem Thema schrieb (Industrie laitière, une plaie ouverte à suturer ?, 2017, Éditions l’Âge d’Homme), indem ich Videos von versteckten Kameras auf Bauernhöfen und in Schlachthäusern in der Westschweiz veröffentlichte und indem ich zivilen Ungehorsam leistete: Tierrettung, Schlachthausblockaden, etc. Während dieser Zeit studierte ich Sozialpädagogik, um Menschen in Schwierigkeiten begleiten zu können. Danach beschäftigte ich mich während mehreren Jahren als Sozialpädagogin hauptsächlich mit Teenagern in Krisensituationen. Mein Engagement für Menschen geschah also auf diesem Weg.
Co&xister reagiert meiner Meinung nach auf zwei Dinge; die Dringlichkeit Tiere zu retten, die in Gefahr sind und die Aufklärung der Menschen über die Rechte von Tieren. Passt das zusammen?
Ja, absolut. Unsere Hauptaufgabe besteht darin aufzuzeigen, wie genau Menschen und Tiere zusammenleben und dabei die Bedürfnisse voneinander respektieren können. Das Ziel davon ist es Tieren, die auf einem Bauernhof gelebt haben und oft stark traumatisiert hier ankommen, einen friedlichen und sicheren Lebensraum zu bieten. Daraus ergibt sich aber auch ein erzieherischer und sozialer Auftrag: Den Menschen, Kindern wie Erwachsenen, die Möglichkeit zu bieten, echte Begegnungen mit Tieren zu erleben und so zu lernen, sie anders zu betrachten. Die Ergebnisse solcher Erfahrungen sind unglaublich berührend.
Welches sind deine persönlichen Werte?
Gleichberechtigung, Respekt, Liebe und Hingabe
Inwiefern vereint der Veganismus alle diese Werten?
Sagen wir einfach der Veganismus ist die logische Konsequenz einer antispeziesistischen Lebensphilosophie. Darüber hinaus trägte eine pflanzliche, biologische und möglichst lokale Ernährung direkt dazu bei das Leiden anderer zu reduzieren; von Tieren, Menschen und dem Planeten. Es ist deshalb der einfachste und effektivste Weg die negativen Einflüsse auf unsere Welt zu verringern. Ich propagiere Veganismus jedoch nicht oft als Ernährungsweise, sondern ich konzentriere mich lieber auf die philosophischen, ethischen und politischen Aspekte des Status von Tieren.
Lass uns noch einmal über Co&xister sprechen. Der persönliche Einsatz muss enorm hoch sein, denke ich.
Man hat zu 1000% keine Ferien und es ist eine 7-Tage-Arbeitswoche. Es ist eine echte Lebensaufgabe und auch eine Verpflichtung, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen kann. Ja, der persönliche Einsatz ist riesig, aber ich würde nichts Anderes machen wollen. Mein Alltag sieht so aus, dass ich um 5 Uhr aufstehe, damit ich mich um den Haushalt und die Tiere, die drinnen leben, kümmern und nach meiner Meditation ein ausgewogenes Frühstück zu mir nehmen kann. Zwischen 06.30 und 09.00 Uhr reinige ich den Aussenbereich und füttere die erwähnten 46 Tiere. Zwischen 09.00 und 11.00 Uhr widme ich mich den administrativen Aufgaben, die mit dem Leben auf einem Gnadenhof und einer öffentlichen Organisation verbunden sind. Um 11.00 Uhr ist die nächste Putz- und Fütterungsrunde angesagt. Um den Mittag herum esse ich etwas bevor ich Lebensmittel einkaufen gehe, an Sitzungen teilnehme oder weitere Büroarbeiten erledige. Wenn es nichts von alledem zu tun gibt, mache ich auch mal ein Nickerchen mit den Tieren, oftmals mit den Schweinen. Zwischen 16.30 und 18.30 Uhr ist es Zeit für die Abendreinigung und eine weitere Fütterung. Bei jedem Rundgang nehme ich mir die Zeit, die Tiere zu beobachten um sicherzugehen, dass es allen gut geht. Und ich halte an um diejenigen zu umarmen, die ein Verlangen danach haben, das ist klar. Zurück im Haus kümmere ich mich ums Putzen, Waschen, Essen (und gönne mir eine dringend nötige Dusche…). Angesichts des vollen Tagesplanes versuche ich so früh wie möglich ins Bett zu gehen, auch wenn das nicht immer realistisch ist. 20.30 Uhr wäre meine ideale Schlafenszeit.
Was machst du, wenn die Tiere krank sind?
Meistens kümmere ich mich selbst um sie mithilfe des Wissens, das ich mir während eines Praktikums in einer Tierklinik angeeignet habe. Aber gelegentlich lasse ich einen Tierarzt kommen für Operationen oder exakte Diagnosen, für die es spezielle Instrumente braucht. Tierärzte sind nur sehr selten für die Behandlung sogenannter “Nutztiere” (also solche, die zu Lebensmitteln verarbeitet und verkauft werden sollen) ausgebildet, denn grundsätzlich werden diese auf den Bauernhöfen nicht behandelt – das wäre viel zu teuer. Es ging eine Weile, bis ich solche Tierärzte fand.
Inwiefern ist dir die Unterstützung von New Roots eine Hilfe?
Ich bin New Roots unendlich dankbar für diese wertvolle Partnerschaft. Ich hätte mir keine bessere Unterstützung wünschen können und die Tiere profitieren auch direkt davon. Der monatliche Beitrag ermöglicht es mir einen erheblichen Teil der grossen Ausgaben des Lebenshofs abzudecken. Wir benötigen jeden Monat zwischen 8’000 und 10’000 Franken um die Kosten für Futter, Einstreu, tierärztliche Versorgung, Nutzfahrzeuge und deren Unterhalt, den Kauf von Baumaterialien, Unterständen, oder Ausrüstungen für Tiertransporte, die Verpflegung für Freiwillige, Ausrüstungen für die Instandhaltung des Geländes und kleine Arbeitsgeräte, Rechnungen für professionelle Arbeiten (Gartenbau, Sanitär, Schreiner, etc.), und die Kommunikation (Webseite, Flyer, Werbung, Telefon, …) zu decken. Die Liste geht noch weiter, aber das ist der grösste Teil.
Wie sieht die Zukunft von Co&xister aus?
Eine unserer Hauptaufgaben, die sich während der letzten Monate herauskristallisiert hat, ist die Unterstützung von Landwirten bei der beruflichen Umorientierung. Wir haben eine Gruppe mit ehemaligen Arbeitnehmern dieser Branche gegründet, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten. Gemeinsam mit ihnen werden wir immer mehr Bauern beim Ausstieg aus der Tierausbeutung und der Umstellung zu einer ethischen Tätigkeit begleiten. Ich glaube wirklich, dass dieser Pfeiler unserer Organisation immer mehr an Bedeutung gewinnen wird und das ist eine der besten Möglichkeiten direkt dazu beizutragen, den Status der Tiere zu ändern und sowohl besser als auch respektvoller mit den Nahrungsmittelressourcen umzugehen – sowohl für die Tiere als auch das Wohlbefinden der Menschen.